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07 Apr
07Apr

Ob Webdesign, Beratung oder Texterstellung: Wer als Einzelunternehmer Dienstleistungen anbietet, kennt sie – die Preisverhandlung. Viele zögern, den ersten Schritt zu machen. Doch genau hier liegt ein entscheidender Hebel: Wer als Erstes einen Preis nennt, hat in der Regel die besseren Karten. Die Psychologie nennt das den „Ankereffekt“ – und er funktioniert besser, als viele denken.


Psychologischer Vorteil: Der erste Preis bleibt im Kopf

Der sogenannte Ankereffekt beschreibt ein Phänomen, das unser Denken stärker beeinflusst, als uns bewusst ist:

Der erste genannte Preis dient als kognitive Orientierung – und verschiebt unbewusst die spätere Bewertung.


Selbst wenn der Kunde mit Ihrer Zahl nicht einverstanden ist, richtet er seine Einschätzung an ihr aus – und nicht an einem internen Idealpreis.

Studien belegen: Menschen passen ihre Preisvorstellungen nach einem Anker nur unzureichend an. Der erste Preis bleibt „kleben“ – auch bei erfahrenen Verhandlungspartnern (Epley & Gilovich, 2006).


Ein Beispiel aus der Praxis: Honorarverhandlung für einen Website-Relaunch

Ein Unternehmer fragt an: „Was würde ein Website-Relaunch bei Ihnen kosten?“

Sie wissen: Für ähnliche Projekte haben Kunden zwischen 5.000 und 7.000 CHF bezahlt. Statt zu sagen:

„Ich bin flexibel – was haben Sie denn im Kopf?“

setzen Sie selbstbewusst einen Anker:

„Für Projekte mit diesem Umfang, technischer Umsetzung und UX-Optimierung liegt mein Honorar bei 7.800 CHF.“

Was passiert jetzt?

Ihr Gegenüber wird gedanklich alles tun, um diesen Betrag zu „prüfen“. Dabei wird er automatisch positive Argumente suchen, die diesen Preis rechtfertigen – wie Erfahrung, Leistungspaket, Stilgefühl oder Umsetzungsdauer.


Warum ein hoher Anker wirkt – und wann nicht

Ein hoher Anker bringt Sie in eine starke Position, wenn er realistisch und nachvollziehbar erscheint. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf den Wert, den Sie liefern – nicht auf die Kosten. Aber:

Wenn Ihr Angebot völlig aus dem Markt fällt oder nicht erklärt wird, kann das Vertrauen sinken. Entscheidend ist daher:

Ein hoher Anker braucht eine klare Begründung – und einen wertschätzenden Ton.


So könnte Ihre Verhandlung klingen:

„Ich schätze Ihr Projektvorhaben sehr – und gerade der Fokus auf Benutzerfreundlichkeit und SEO ist wichtig. Aus Erfahrung weiss ich, dass für diesen Umfang ein Honorar von 7.800 Euro realistisch ist. Das umfasst alle nötigen Schritte für einen gelungenen Relaunch.“

Diese Formulierung ist freundlich, professionell und positioniert Sie als Expertin – statt als Dienstleisterin, die noch um einen Platz kämpfen muss.


Zusätzlicher Hebel: Wertschätzung in der Sprache

Gerade in Einzelgesprächen entscheidet nicht nur der Preis, sondern auch das Vertrauen. Wenn Sie Ihre Preisaussage mit einem wertschätzenden Einstieg kombinieren, entsteht Bindung – ohne dass es manipulativ wirkt. Aber Vorsicht: In der Schweiz oder in konservativen B2B-Märkten kann übertriebene Freundlichkeit skeptisch machen. Hier gilt: Klarheit vor Charme.


Was tun, wenn der Kunde „verhandeln will“?

Bleiben Sie beim Anker, aber zeigen Sie Spielraum in der Leistung, nicht im Wert. Beispiel:

„Wenn das Budget etwas enger ist, könnten wir die Startseite und zwei Unterseiten priorisieren – und später erweitern. So bleiben wir bei 6.500 CHF, ohne an Qualität zu sparen.“

Sie reduzieren nicht den Preis – Sie strukturieren das Projekt neu.


Fazit: Setzen Sie den ersten Ton – mit Kompetenz und Klarheit

Für Einzelunternehmer ist der erste Preisvorschlag kein Risiko, sondern eine Chance. Sie positionieren sich, zeigen Selbstwert – und eröffnen das Gespräch von einer Position der StärkeDrei Schritte, die wirken:

  1. Ambitionierter, realistischer Anker
  2. Sachliche Begründung mit Nutzenfokus
  3. Freundlicher, professioneller Einstieg


Quellen in Englisch:

  • Epley, N., & Gilovich, T. (2006). The anchoring-and-adjustment heuristic: Why the adjustments are insufficient. Psychological Science, 17(4), 311–318.
  • Galinsky, A. D. (2004). When to Make the First Offer in Negotiations. Harvard Business School Working Knowledge.
  • Morris, M., Nadler, J., Kurtzberg, T., & Thompson, L. (2002). Schmooze or lose: Social friction and lubrication in e-mail negotiations. Group Dynamics, 6(1), 89–100.















Profitieren sie in Verhandlungen davon, wenn sie das erste Angebot setzen. Diese Praxis hat deutliche psychologische und strategische Vorteile.

Vorteile eines hohen ersten Angebots (hoher Anker): Ihr Gegenüber richtet seine Aufmerksamkeit zunächst auf die positiven Merkmale Ihres Angebots, die diesen Preis rechtfertigen könnten.


Ein hoher Anker lenkt die Aufmerksamkeit gezielt auf die Vorteile und minimiert die Wahrnehmung möglicher Nachteile (Galinsky, 2004).


Wie wirkt ein hoher Anker konkret?

Beispiel Immobilienverkauf: Ein hoher Preis veranlasst Makler, die positiven Eigenschaften der Immobilie hervorzuheben (grosse Zimmer, neue Ausstattung), während negative Aspekte (kleiner Garten, alte Installationen) weniger ins Gewicht fallen.


Praktisches Verhandlungsbeispiel:

Arbeitgeber ziehen oft eine Gehaltsspanne (z.B. 70.000 bis 95.000 Euro) in Betracht. Wenn Sie einen höheren Anker setzen (z.B. 100.000 Euro), positionieren Sie sich automatisch am oberen Ende dieser Skala, was Ihnen bessere Ergebnisse bringt.


Wichtiger ergänzender Tipp: Beginnen Sie Ihre Verhandlung mit einer freundlichen, wertschätzenden Bemerkung.


Forschungsergebnisse bestätigen, dass Schmeicheleien und positive Bemerkungen Verhandlungen fördern und soziale Bindungen stärken, die während Verhandlungen hilfreich sind (Morris, Nadler, Kurtzberg & Thompson, 2002). Aber Vorsicht: In der Schweiz werden Entscheider skeptisch, wenn sie positive Bemerkungen aussprechen. Sie sehen es als Manipulation, auch wenn es gar nicht so gemeint ist.


Praktische Umsetzung: „Ich schätze Ihre Erfahrung sehr und freue mich, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Aufgrund meines Hintergrunds halte ich ein Gehalt von 100.000 Euro für angemessen.“


Nutzen Sie stets die Möglichkeit, ein erstes, ambitioniertes Angebot zu machen, um Ihre Verhandlungsposition zu stärken und Ihre Ziele zu erreichen.




Quellen in Englisch:

  • Epley, N., & Gilovich, T. (2006). Die Anker- und Anpassungsheuristik: Warum die Anpassungen unzureichend sind. Psychological Science, 17(4), 311-318.
  • Galinsky, AD (2004). Wann sollte man bei Verhandlungen das erste Angebot machen? Harvard Business School Arbeitswissen.
  • Morris, M., Nadler, J., Kurtzberg, T., & Thompson, L. (2002). Schmooze or lose: Soziale Reibung und Schmierung in E-Mail-Verhandlungen. Gruppendynamik: Theorie, Forschung und Praxis, 6(1), 89.
  • Worthy, M., Gary, AL, & Kahn, GM (1969). Selbstauskunft als Austauschprozess. Zeitschrift für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, 13(1), 59.
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